Ich möcht‘ vorausschicken, dass ich leider nimmer weiß, wer mir das zugesandt hat, von wem es ist. Sollte ich also irgendwelche Urheberrechte durch die Veröffentlichung verletzen, bitte mich sofort zu kontaktieren! Aber es ist so süß, dass ich es unbedingt meinen Lesern gönnen möchte:
Märchen von einem, der auszog gesund zu werden
Es war einmal … So beginnen Märchen. Und dies ist ein Märchen. Denn Märchen gehen für die Helden immer gut aus. Das Leben schreibt andere Geschichten.
Es war einmal ein glückliches Paar. Zumindest war es meist glücklich, denn sogar im Märchen gibt es hin und wieder Fälle, in denen das verliebte Paar höchst unzufrieden mit- oder gar sehr ärgerlich aufeinander ist. Das macht aber nichts, denn so ein Paar lässt sich für gewöhnlich nicht durch ein paar kleine Widrigkeiten trennen (und im Märchen schon gar nicht!) – sie machen sie sogar stärker.
Eines Tages erkrankte der Mann. Er ging zum Arzt. Dieser führte verschiedene Untersuchungen durch und setzte schließlich eine gewichtige Miene auf; er schaute ein wenig mitfühlend und auch sehr wissend, denn er war ein studierter Mensch und kannte sich in seinem Metier sehr gut aus. Er wusste alles über diese Krankheit, was das Studium an einer angesehenen Universität ihm nur hatte beibringen können. Mit Fug und Recht konnte er von sich behaupten, er sei Experte auf dem Gebiet der menschlichen Gesundheit.
Mit seiner gewichtigen Miene setzte er nun zu einer Erklärung für seinen Patienten an: „Tja. Nun muss ich Ihnen leider die traurige Mitteilung machen, dass die Krankheit, die Sie befallen hat, unheilbar ist. Sie haben mir ja auch gesagt, dass schon andere Familienmitglieder vor Ihnen daran litten. Es ist ganz eindeutig so, dass Sie nur ein weiterer Fall in dieser Reihe sind. Sie werden lernen müssen, mit der Krankheit zu leben, denn sie wird Sie den Rest Ihres Lebens begleiten.“
Der Mann machte ein erschrockenes Gesicht. Aber eigentlich hatte er so etwas schon befürchtet. Trotzdem war es ein Schock, diese Nachricht direkt ins Gesicht gesagt zu bekommen!
Der Arzt lächelte milde; er wusste aus Erfahrung, dass die unwissenden Patienten anfangs immer geschockt reagierten. Sie wussten ja nicht, was er wusste; dass nämlich die Krankheit sehr gut in den Griff zu bekommen war. Es bedurfte lediglich der Einnahme einer bestimmten Medizin. Auch das würde fortan für den Mann ein Teil des Lebens sein – aber es war doch nur ein kleines Übel, das in Kauf zu nehmen sich lohnte. Denn immerhin konnte man dadurch beinahe so wie vor der Krankheit weiterleben!
Er klärte seinen Patienten also auf und dem Mann fiel ein Stein vom Herzen. Nur ein kleiner natürlich, denn er wusste auch etwas – zum Beispiel von vielen anderen Menschen mit derselben Krankheit, bei denen es nicht mehr reichte, die Medizin als Tablette einzunehmen. Irgendwann käme der Tag, an dem er würde beginnen müssen, sich Spritzen zu geben.
Er sprach den Arzt darauf an. Da dieser ein sehr ehrlicher Mensch war, der sein Gegenüber nicht im Unklaren lassen wollte, gab er zu, dass er nicht dafür garantieren könne, dass es nicht so käme und auch noch, dass er nicht sagen könne, wieviel Zeit bis dahin vergehen würde.
Der Mann fügte sich also in sein Schicksal. Was blieb ihm auch anderes übrig?
Seufzend erhob sich von dem bequemen Stuhl, in dem er das Gespräch mit dem Arzt geführt hatte. Er schüttelte dem Mediziner die Hand und bedankte sich. Für einen kurzen, einen sehr kurzen Moment, schoss ihm die Frage durch den Kopf, wofür er sich eigentlich bedankte. Doch der Gedanke war sofort wieder verloren, denn im selben Augenblick sagte der Arzt: „Meine Helferin wird Ihnen noch ein Rezept ausschreiben. Halten Sie sich peinlich genau an die Einnahmeempfehlung! Dann wird es Ihnen gut gehen und Sie können unbeschwert weiterleben.“ Er lächelte zur Verabschiedung und nahm sich vom Tisch seiner Helferin die nächste Krankenakte, um zu sehen, wem er als nächstes helfen konnte.
Sehr traurig ging der Mann nach Hause, wo die Frau, die den Mann – wir erinnern uns an den Beginn des Märchens – ja sehr liebte (denn das musste sie, sonst wäre sie nicht glücklich mit ihm gewesen), sehr bang wartete.
Sie getraute sich nicht nachzufragen, aber das war auch nicht nötig, denn das Gesicht ihres Mannes sprach Bände. Das Herz wurde ihr schwer vor Kummer, denn auch sie wusste etwas über die Krankheit, die ihr Mann schon vermutet hatte, bevor er zum Arzt gegangen war. Die Krankheit würde nicht die einzige bleiben. Viele schlimme Folgen würde sie noch haben, und die Medizinforschung würde dafür sorgen, dass er ein langes Leben, erfüllt mit Krankheit und Medikamenten, haben würde.
Die Frau wurde noch trauriger als der Mann, denn die Frau wusste noch mehr. Doch ihr war klar, dass ihr Mann ihr niemals zuhören würde, wenn sie versuchte, dieses Wissen mit ihm zu teilen. Ganz zu schweigen davon, ob er überhaupt die Möglichkeit in Betracht ziehen würde, dass die Frau mit ihrem Wissen recht haben könnte, und gar nicht zu reden davon, ob er dieser Möglichkeit eine Chance geben würde!
Die Frau war tieftraurig und wusste sich nicht zu helfen, denn sie wollte keinen Streit mit ihrem Mann. Doch ihre Meinungen in dieser Sache waren ganz und gar gegensätzlich, und es würde es auf einen Streit hinauslaufen.
Dann, nachdem die Frau eine lange Zeit innerlich sehr gelitten hatte, kam ihr ein Einfall.
Sie sprach zu ihrem Mann: „Wenn dir ein Mensch begegnete, der dir glaubhaft versicherte, dass es einen Weg gäbe, die Krankheit zu heilen, der dir sagte, dass es ganz einfach sei, dass du nur ein Pulver kaufen müsstest, das du drei Monate lang dreimal täglich in Wasser auflösen und trinken müsstest, dass du nichts weiter zu tun hättest, dass die Wirkung des Mittels in vielen wissenschaftlichen Studien bewiesen worden wäre und dass die Krankenkasse alle Kosten übernähme – würdest du dem Pulver eine Chance geben …?“
Der Mann dachte nur kurz darüber nach. Diese Möglichkeit hörte sich mehr als verlockend an. Wer würde da nicht sofort zugreifen? Wenn medizinische Forscher solch ein Mittel entdeckt und erforscht hätten, wenn sie Studien zu seiner Wirksamkeit gemacht hätten, wenn es sogar die Krankenkasse überzeugt hätte und sie die Kosten übernähme – warum sollte man es dann nicht probieren?
Er nickte und antwortete: „Ja, natürlich, warum nicht? Ich wäre froh, wieder ohne die Krankheit leben zu können! Ist ein neues Mittel entwickelt worden?“
Die Frau bekam ein trauriges Gesicht. „Nein“, gestand sie. „Es ist kein neues Mittel entwickelt worden.“
„Warum sagst du dann so etwas und machst mir Hoffnung?“, forderte der Mann zu erfahren.
„Ich habe noch eine Frage an dich“, entgegnete die Frau statt einer Antwort. „Wenn dir ein Mensch begegnete, der dir glaubhaft versicherte, dass es einen Weg gäbe, die Krankheit zu heilen, der dir sagte, dass es ganz einfach sei, dass du nur anfangen müsstest, dich anders zu ernähren, dass dir viele neue Wege des Genusses offen stünden, und dass du eine ganz neue Welt des Geschmacks kennenlernen würdest, der dir dazu sagen würde, dass du auf bestimmte Dinge, die dir lieb geworden sind, an die du dich gewöhnt hast und die du nicht gerne aufgeben würdest, zwar verzichten müsstest, dass du aber nach einer gewissen Zeit wieder völlig beschwerdefrei sein würdest, die Krankheit nicht länger dein Leben bestimmen würde und sie es nie wieder tun würde, vorausgesetzt, du bliebest bei dieser Ernährung, wenn er dir dazu auch noch riete, ein wenig mehr Sport zu treiben und er dir von den vielen Menschen berichtete, denen dieser Weg bereits geholfen hat, viele, viele Krankheiten, nicht nur die, die dich plagt, zu besiegen – würdest du diesem Menschen … Gehör schenken?“
Sie blickte ihn mit Tränen in den Augen an und konnte an seinem Gesicht ablesen, wie es in ihm arbeitete. Er dachte sehr lange nach und sprach kein Wort. Dann wandte er sich ab und ging davon.
Die Frau blieb allein zurück und war nun noch unglücklicher. Sie hatte geahnt, dass auch dieser Weg der falsche sein würde, ihren Mann, für den sie sich nichts sehnlicher wünschte, als dass die Krankheit von ihm ablassen würde, dazu zu bringen, von dieser Möglichkeit, an die sie fest glaubte, zu überzeugen. Zuvor hatte sie ihm bereits ein kleines, fast unscheinbares Büchlein geschenkt, in welchem lauter simple Dinge standen, die doch eigentlich jedem Menschen klar sein sollten. Doch gab es in der Zeit, da das Paar lebte, nicht mehr viele Menschen, denen diese Dinge klar waren, weil sie ihnen aberzogen worden waren. Die allermeisten Menschen dachten über solche Dinge nicht mehr nach. Sie ließen das Nachdenken über ihren Körper und ihre Ernährung von anderen erledigen, damit sie den Kopf frei und mehr Zeit für die schönen Dinge des Lebens hatten, für die Vergnügen, denen sie nachgingen.
Die Frau ging in ihr Zimmer, setzte sich an den Tisch, nahm sich ein Blatt Papier und eine Schreibfeder. Mit ordentlichen, schön geschwungenen Buchstaben fing sie an eine Geschichte zu schreiben. Ihr nehmt nun – völlig zurecht – an, dass das Märchen hier zu Ende sei und wollt Euch beschweren. Denn Märchen gehen ja immer gut aus, nicht wahr?
Nun, das wäre kein Märchen, wenn es schlecht ausginge oder auch nur unbefriedigend für einen der beiden doch irgendwie ein bisschen netten Helden. Und schließlich lieben sie sich ja auch so sehr und der Liebe sollte doch nichts im Weg stehen, wenn schon die Helden selber vielleicht in der Geschichte eher blass bleiben. Gut, ich will Euch das Happy End nicht vorenthalten:
Einige Stunden später tat der Frau vom vielen Schreiben die Hand weh. Sie wollte in den Garten gehen, um sich im Liegestuhl zu entspannen, wollte die friedliche, duftende und summende Natur um sie herum das Ihre tun lassen, um die Traurigkeit dieses Tages von ihr zu nehmen. Als sie die Tür öffnete und nach draußen trat, erblickte sie dort in dem Liegestuhl neben dem ihren – ihren Mann. Er hielt ein kleines Büchlein in der Hand, und sie bemerkte, dass er es fast durchgelesen hatte. Ein kleines Lächeln huschte über ihr Gesicht. Ihr Mann blickte auf und wurde ihrer gewahr. Auch er lächelte ein wenig, wenngleich in diesem Lächeln außer Zuversicht auch ein wenig Skepsis lag.
„Denkst du, es kann schaden es auszuprobieren?“, fragte er leise. Die Frau schüttelte vehement den Kopf. „Dann zeig mir, wie es geht. Und hilf mir. Bitte.“