‚Hast Du vielleicht eine grad‘ brütende Henne?‘ fragte der Jaga- Jokl den alten Wieser, zu dem er auf seinem Heimweg aus den Bergen einen kleinen Umweg gemacht hatte.
‚Ja, meine Fleißigste sitzt grad wieder auf einem ganzen Schippl Eiern‘, erwiderte dieser.
‚Na, dann kommt’s ihr auf ein Ei mehr sicher auch nicht an‘, griff der Jokl in seine Jackentasche und übergab dem Hühnerhalter ein Ei. ‚Mir ist es gleich verdächtig vorgekommen als ich heut morgen einen Schuss gehört hab. Und als ich oberm Adlernest vorbeigekommen bin, sah ich auch schon die Bescherung. Hat doch tatsächlich so ein Idiot einen unserer letzten Adler abgeschossen! Doch dieses Ei lag noch im Nest‘.
Schon ein paar Tage später stolzierre eine selbstbewusste Hühnermutter über Wiesers Hühnerhof. Sieben gelbe und ein braunes Küken hinter ihr, die sie in allem eifrig nachahmten.
Der kleine Adler war überzeugt ein Huhn zu sein bzw. verschwendete natürlich keinen Gedanken an seine Herkunft, sein Andersaussehen, sondern tat was alle taten: Der Henne nachlaufen, wie sie zu scharren, zu picken, den Blick flach auf den Boden und in der Schar zu halten und möglichst schnell dorthin zu laufen wo es nach Essen aussah.
Irgendwann, war es ein flüchtiger Schatten, war es Zufall, blickte der kleine Adler nach oben und gewahrte einen hoch über dem Hühnerhof kreisenden Adler.
‚Was macht das Huhn da oben?‘, fragte er seine Mutter.
‚Das kann kein Huhn sein, Dummerchen. Denn wir fliegen nicht, wir scharren!‘.
‚Sag, wieso fliegen wir eigentlich nicht? Wir haben doch Flügel‘, fragte er eine der Junghennen, bekamm aber außer einem verständnislosen Blick keine Antwort.
Machten es die ungenügend beantworteten Fragen, machte es die nun geweckte Sehnsucht nach unendlichen Weiten … Der junge Adler verwandte ab nun viel Zeit um mit den Flügeln zu schlagen und immer höhere Luftsprünge zu wagen. Irgendwann, er schaffte mittlerweile kleinere Gleitflüge im Hof spürte er plötzlich diese tragende Kraft unter seinen Flügeln, der er sich bloß zu überlassen brauchte. Ein gütiger Windhauch trug in hoch, immer höher. Er spürte, wie er sich kreisend bloß hochtragen zu lassen brauchte. Sein Herz klopfte wie nie zuvor. Und bald befand er sich hoch, auf Augenhöhe mit der Sonne und den Bergen, tief unter ihm, winzig klein sah er den einst so großen Hühnerhof wie einen Splitter in der Unendlichkeit, die ihn nun förmlich berauschte. Er flog immer neue Routen, erlebte immer Unglaublicheres, Wunderbareres und glitt wie von alleine in ein freies Adlerleben.
Irgendwann führten ihn seine Kreise wieder einmal über den Hühnerhof seiner Kindheit. Er beobachtete das Gescharre dieser kleinen Welt da unten, bekam Mitleid mit seinen früheren Genossen, glitt langsam kreisend immer tiefer, um schließlich im Hof zu landen um den Hühnern begeistert von seinen Abenteuern, von dieser wunderbaren Weite und hier ungeahnten Möglichkeiten zu erzählen. Doch erst erschraken die Hühner und liefen ängstlich vor ihm davon, dann horchten einige wenige verständnislos und nur kurz zu, während das Gro mit Blick auf dem Boden weiterscharrte. Als der alte Wieser seine vergammelten Essensreste und anderen Müll über den Zaun des Hühnerhofes schüttete, war es schlagartig mit allem Interesse für des Adlers Erzählungen vorbei. Alle liefen, als handelte es sich um seltene Kulinar- Exklusivitäten zu den Abfällen. Der Adler erhob sich wieder in die Lüfte, wusste, dass das nun nicht mehr seine Welt war und die Hühner gackerten zwischen ihrem Abfall- Gekratzen kurze: ‚Der war schon immer komisch‘, ‚Der hat doch einen Dachschaden‘, ‚Größenwahnsinniger Spinner‘ …
Einmal noch, überkam den Adler Mitleid mit denen da unten im staubigen Hof, inmitten des grünen Landes. Er besuchte abermals den Hühnerhof und flüsterte dem Hahn, der ihm damals am nächsten stand verschwörerisch zu: ‚Sieh mal, wir sind doch Geschwister, haben beide Federn und Flügel. Auch Du könntest fliegen, Komm mit mir, ich zeig Dir wie herrlich Freiheit ist‘. Doch er merkte, wie der Hahn gar nicht richtig zuhörte sondern ständig nach irgendwelchen Hennen schielte …
Tja, irgendwann musste auch der Adler erkennen, dass man niemanden zu seinem Glück überreden oder gar zwingen kann. Doch darin besteht auch die Gnade der Dummheit, dass die Unwissenden nicht ermessen können, was sie versäumen
da sie die Alternative weder kennen, noch sehen können.