… Rilkes wunderbares Herbst- Gedicht gar nicht den Übergang von Sommer auf den Hebst, sondern gesellschaftliche Veränderungen meinte?
Oder gar visionär die heutige Wendezeit vorwegnahm?
Kann alles sein, kann auch nicht sein. Selten wunderbar bleibt dieses dreistrophige Gedicht allemal:
Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß. Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren, und auf den Fluren laß die Winde los.
Befiehl den letzten Früchten voll zu sein; gieb ihnen noch zwei südlichere Tage, dränge sie zur Vollendung hin und jage die letzte Süße in den schweren Wein.
Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr. Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben, wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben und wird in den Alleen hin und her unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.
Ganz in diesem Rilke- Sinne: Genießt Eure Häuser und sonnenprallen Früchte, aber auch im Sinne der Natur und
Erneuere uns mit einer reinen Speise,
mit Tau, mit ungetötetem Gericht,
mit jenem Leben, das wie Andacht leise
und warm wie Atem aus den Feldern bricht!
(Reiner Maria Rilke)
Der wunderbare Schriftsteller und ‚DIE Stimme‘ Michael Köhlmeier ließ kürzlich via DER STANDARD, für payolis Altbekanntes, für einen Schriftsteller aber Erstaunliches verlauten:
Herr Köhlmeier, Sie haben einmal gesagt: ‚Wenn ich Carl von Linne lese, der gerade Wespen beobachtet, da hab ich mehr religiöse Gefühle, als wenn ich eine Predigt höre.’…
‚Ich habe schon lange keine Predigt mehr gehört. Wie Hamlet sagt: Worte, Worte, Worte.
Die bloße Anschauung von Natur kommt einer Offenbarung am nächsten. Je genauer ich Natur betrachte – und Linne hat sehr genau betrachtet -, desto unbegreiflicher wird sie mir erscheinen. Das spüre ich selten bei Worten …
Wenn ich Worte von Shakespeare oder Rilke lese oder den vielen anderen Dichtern, die ich liebe, dann bin ich bewegt.
Oder wenn ich Musik höre, die ich liebe. Ich denke mir: Das haben wir geschaffen.
Dass ich derselben Gattung angehöre wie Mozart, das erhebt mich.
Die Natur, die haben wir nicht selber gemacht …
Gegen ein Gänseblümchen kann selbst der beste Prediger nicht an.‘